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ROGER MURARO
Das Heft mit den
Ungarischen Rhapsodien
, das vom
Verbunkos
inspiriert wurde,
dem zwei kontrastreiche Abschnitte folgen – die
Lassù
, eine langsame und
nachdenkliche Passage, und die
Friss
, eine getanzte Koda –, ist sehr viel
abwechslungsreicher, als man meinen könnte. Die
zehnte Rhapsodie
(1847) beginnt
„buchstäblich“ wie eine Etüde, um dann mehr und mehr in ein Fantasiestück
überzugehen, in demderTanzVorwand für eine äußerst verblüffende Sprachewird.
Für Liszt war die Form oft nur Vorwand, genau wie der Inhalt. So kombiniert
Saint
François de Paule marchant sur les flots
(1862) eine naiv-katholische Vorstellung in
Giotto-Manier mit einer packenden Crescendo-Etüde: Im Zentrum des Stückes
lässt Liszt eine regelrechte Klangsturmflut entstehen, eine Sturzwelle, die
die naturalistische Illustration übersteigt, um eine fast schon übernatürliche
Dimension zu erzeugen.
Esgibt jedocheinStück,indessenperfekter Strukturdas
gesamte Klavierwerk Liszts zusammengefasst ist, und
das ist die
Sonate in h-Moll
(1853). Diese Sonate eröffnet
eine Welt, in der die Perfektion der Form mit einer
literarischen Aussage einhergeht, so dass sie fast schon
eine philosophische Dimension gewinnt. Sie stellt den
krönenden Abschluss von Roger Muraros Platte dar
wie auch den seines eigenen Wegs im Reich von Liszts
Klavierwerk, und sie ist der Hauptgegenstand des nun
folgenden Gesprächs.