

Brahms‘ erste zwei Sonaten folgen derselben herkömmlichen Struktur in
vier Sätzen (Allegro, Thema und Variationen, Scherzo, Schlusssatz) und
evozieren das Klima phantastischer Sagen, mal heldenhaft, mal verträumt,
das Klima einer nordischen Ballade, wie es diesem noch ganz jungen Leser,
der von E.T.A. Hoffmann begeistert war und seine ersten Seiten mit dem
Pseudonym „Kreisler Junior“ unterschreibt, amHerzen lag.
Mögen Sie niemals bedauern, was Sie für mich getan haben, und möge ich mich
Ihrer Gunst würdig erweisen
… schreibt Brahms an Schumann als Antwort
auf den lobreichen Artikel, dessen Bekanntheitsgrad sowie die daraus viel
zu schnell erwachsenden Erwartungen der junge Musiker fürchtet. Bereits
im November 1853 legt der junge Adler seinem neuen Behüter seine noch
unvollendete
Klaviersonate Nr. 3 in f-Moll
(Opus 5) vor. Es ist das einzige seiner
sich im Entstehen befindlichen Werke, für das Schumann Ratschläge und
Kritikpunkte formuliert (kaum zwei Monate darauf trifft ihn der tragische
Schlag).
Von den drei Sonaten ist sie unleugbar die meist Vollendete. Von einer
solch ausdrucksstarken, ja wahrlich wundersamen Reinheit und Stärke, da reiner
Ausdruck, prall gefüllt mit Leben, ohne Sprachfloskeln, sich – so könnte man sagen –
um keine Formen kümmernd
, ist dieses Jugendwerk bereits typisch für Brahms,
es ist zugleich eine Hommage an das Erbe der Meister und der originelle
Ausdruck seiner Zeit, mit einer faszinierenden Bandbreite im Aufbau und
einem
Andante
, das wahrscheinlich zu den schönsten Seiten seines Werkes
zählt (
die schönste Liebesmusik, abgesehen von
Tristan
.Und die erotischste – wenn
Sie den Dingen wirklich, ohne jede Einschränkung, freien Lauf lassen…
).
106 BRAHMS_DAS GESAMTWERK FÜR KLAVIER