

Am 13. September 1860 schenkt Brahms Clara als
Geburtstagsgeschenk ein Arrangement des zweiten Satzes des
prächtigenersten
Streichsextetts
(Opus 18),das er gerade komponiert
hat, ein Werk klassischen Charakters und doch zugleich absolut
neuartig. Das originelle Thema dieses langsamen Satzes und seiner
Variationen, der Erscheinung nach einwürdevollerMarsch, feierlich
und leidenschaftlich zugleich, bietet die Möglichkeit zu Gesten, die
Bach, Händel, Haydn und Mozart wachrufen.
In den dann folgenden Jahren läuft, was die Variationen betrifft, das Labor
auf Hochtouren: Es entstehen die
Variationen und Fuge über ein Thema von
Händel
(Opus 24, 1861, denen im Übrigen die
Variationen über ein Thema von
Robert Schumann für Klavier vierhändig
, Opus 23, vorausgehen), dann die
Variationen über ein Thema von Paganini
(Opus 35, 1862-63).
Das erste Werk –
händelartig aufgrund seiner Ausmaße, seines Formats, seiner
Bewegung, seiner Stärke, seiner Muskulatur, von einer gesunden Frische, die für den
klassischenAltmeistersotypischist
,–dasersteWerkstelltgewaltigetechnische
Anforderungen, die selbst in diesen Zeiten pianistischer Akrobatik eine neue
Kühnheit erforderlich machen. Und dennoch ist die Virtuosität hier niemals
Zweck an sich, sondern entfaltet sich zu dem einzigen Ausdrucksziel hin, ein
Schreiben zu entwickeln, das das Orchestrale und eine vor allem lyrische
Atmosphäre suggeriert. Clara, die das Werk spielt und es leidenschaftlich
liebt, gibt allerdings zu, dass es ihre Kräfte übersteigt.
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GEOFFROY COUTEAU