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Als Brahms 1866 mit einem Schuss Gelassenheit ankündigt, das er soeben

sechzehn kleine, harmlose Walzer in Schubertform komponiert habe,

bringt ihr

Widmungsempfänger, der Wiener Kritiker Edvard Hanslick, das allgemeine

herrschende Erstaunenwie folgt zumAusdruck:

Brahms undWalzer! Die beiden

Worte stehen sich auf der elegantenTitelseite völlig verblüfft gegenüber. Brahms, der

Ernste,derSchweigsame,derwahrekleineBruderSchumanns,sollWalzergeschrieben

haben!Unddas,woerdochsonordisch,soprotestantischundauchsowenigweltlichist!

Die

Sechzehn Walzer

(Opus 39) sind, versteht sich, keine Tanzmusik – und

Hanslick lässt sich da auch nicht nicht täuschen, aber sie bringen nochmals

die Lust an der Variation zum Ausdruck, selbst wenn dies hier auf völlig

andere Art geschieht: Vom schwerfälligenWalzer der Hamburger Cafés über

den bayrischen Ländler oder das Leuchten des magyarischen Cymbaloms

bis zum überschäumenden Wiener Walzer, mal Strauss, mal Chopin, mal

Schumann, mal Schubert beschwörend, ist alles dabei und alles ist zutiefst

persönlich. Ursprünglich 1866 für Klavier vierhändig komponiert (manche

sogar bereits ab 1856) hatten diese Walzer einen dermaßen großen Erfolg,

dass Brahms sich sofort daranmachte, eine Version für das zweihändige

Spiel zu erstellen.

Obwohl es zwischen den Stücken keine Verbindung gibt, bilden

sie doch aufgrund der Kombination und Abfolge von Tonarten,

Tempi und rhythmischen Formeln ein bemerkenswert kohärentes

Gesamtgebilde. Die Walzer besitzen vor allem den Duft der ersten

Kindheitserinnerungen, die man wiederfindet – einer Kindheit, die

sich viel in Weinlokalen abspielte, wohin es den Musikervater zu

begleiten galt.

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GEOFFROY COUTEAU