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GEOFFROY COUTEAU
Im Sommer 1893, als Brahms gerade unter Claras Weisung die
Vorbereitungen einer Neuauflage von Schumanns Gesamtwerk
beendet, komponiert er die
sechs Klavierstücke
des Opus 118 sowie
die vier
Klavierstücke
des Opus 119. Dies ist kein einem Roman
entsprungenerZufall–dasLebenistindieserHinsichtstetswendiger
als alle Romane: Diese Stücke, die – wie die Vorgängerstücke –
meditative
Intermezzi
, sagenumwobene Balladen (selbst,wenn sie –
wie wir gesehen haben – den Titel
Rhapsodie
tragen) und sogar eine
Romanze
(ein Einzelfall im gesamten Werk für Klavier) umfassen,
sind allesamt vertrauliche Mitteilungen, die letzten, die Brahms
komponiert und die er, noch einmal, ein letztes Mal, an Clara richtet
(das Opus 118 ist ausdrücklich ihr gewidmet). Vielleicht richtet
er sie, durch Clara hindurch, auch an denjenigen, den er so sehr
bewunderte und der ihm vierzig Jahre zuvor Flügel verlieh. Und
vielleicht schreibt er, durch Robert und Clara Schumann hindurch,
diese Seiten, die die Resignation mit süßer Melancholie in Zaum
halten und sichmit zärtlicher Nostalgie an Heldenträume erinnern,
auch für den jungen Adler. Sie enden mit einer letzten, stürmisch-
lyrischen Ballade, wie die norddeutsche Natur, und wie der junge
Adler, der er einst war und den jeder Interpret in sich selbst finden
muss, um sich des Werkes zu bemächtigen.