Background Image
Previous Page  61 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 61 / 80 Next Page
Page Background

61

PASCAL AMOYEL

Der junge Chopin – damals um die zwanzig – machte die Polonaise zum Zeichen

für seine Emanzipierung vom Virtuosen zum Schöpfer. 1855, als der Komponist

schon seit sechs Jahren verschieden war, veröffentlichte Julien Fontana drei

Polonaisen unter demNamen

Opus 71

. Er offenbarte, dass Chopin selbst bei seinen

ersten Versuchen mit dieser Form schon ein poetisches Ideal verfolgte, dass er in

seinem späteren Pariser Exil fand: Die

Polonaise in d-Moll

weist Durchführungen,

eine Ornamentsyntax und dynamische Kontraste auf, die sie sowohl von ihren

ländlichenWurzeln als auch von denWarschauer Salons lösten.

Diese Vorbedingung würde die Polonaise aus ihren Formen und Zwängen brechen

lassen, zumindest in Chopins Schöpfungswelt. Der Komponist hatte nach dem

Erfolg seines

e-Moll-Konzerts

Warschau verlassen und war nach Wien gezogen,

wo er die Herzen der Wiener bei einem Klavierduell mit Thalberg eroberte, das in

den Annalen bleiben sollte. Er siegte über die erhabene Virtuosität seines Rivalen

mit Poesie und Erfindungsgeist: Sein Klavier bezauberte. Obgleich Chopin die

raffinierten und gebildeten Salons für sich gewonnen hatte, entschied er ebenfalls

in Wien, Theater zu meiden. Nur eine späte Londoner Konzertreihe sollte ihn

dorthin zurückbringen. Vielmehr suchte er intimere Kreise auf, in denen sein

geheimer Klang und seine tiefe Lyrik einen würdigen Rahmen fanden.