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PASCAL AMOYEL
Der junge Chopin – damals um die zwanzig – machte die Polonaise zum Zeichen
für seine Emanzipierung vom Virtuosen zum Schöpfer. 1855, als der Komponist
schon seit sechs Jahren verschieden war, veröffentlichte Julien Fontana drei
Polonaisen unter demNamen
Opus 71
. Er offenbarte, dass Chopin selbst bei seinen
ersten Versuchen mit dieser Form schon ein poetisches Ideal verfolgte, dass er in
seinem späteren Pariser Exil fand: Die
Polonaise in d-Moll
weist Durchführungen,
eine Ornamentsyntax und dynamische Kontraste auf, die sie sowohl von ihren
ländlichenWurzeln als auch von denWarschauer Salons lösten.
Diese Vorbedingung würde die Polonaise aus ihren Formen und Zwängen brechen
lassen, zumindest in Chopins Schöpfungswelt. Der Komponist hatte nach dem
Erfolg seines
e-Moll-Konzerts
Warschau verlassen und war nach Wien gezogen,
wo er die Herzen der Wiener bei einem Klavierduell mit Thalberg eroberte, das in
den Annalen bleiben sollte. Er siegte über die erhabene Virtuosität seines Rivalen
mit Poesie und Erfindungsgeist: Sein Klavier bezauberte. Obgleich Chopin die
raffinierten und gebildeten Salons für sich gewonnen hatte, entschied er ebenfalls
in Wien, Theater zu meiden. Nur eine späte Londoner Konzertreihe sollte ihn
dorthin zurückbringen. Vielmehr suchte er intimere Kreise auf, in denen sein
geheimer Klang und seine tiefe Lyrik einen würdigen Rahmen fanden.