

62 CHOPIN_POLONIA
Der entscheidende Schlag, der diesen radikalen Wandel bewirkte, kam Ende
August 1830. Chopin verweilte in Stuttgart, als er von der Unterdrückung des
nationalenAufstands inWarschau durch die russischeArmee erfuhr.Wienwar sein
und das Exil nunmehr gewiss (obwohl Chopin jederzeit heimkehren konnte, wollte
er dies nie). Er reiste bis nach Paris weiter undmachte Frankreich zu seiner zweiten
Heimat. Immerhin war sein Vater Franzose gewesen und in den Vogesen geboren.
Der Anfang war schwer. Er dachte, sein Wiener Ruf würde ihm vorauseilen, doch
in den Pariser Salons, wo Liszt und – der schon wieder! – Thalberg vorherrschten,
kannte man Chopin kaum. Indes waren die ersten Auftritte des Polen in der guten
Pariser Musikgesellschaft Franz Liszts Initiative und dessen selbstverständlichen
Nächstenliebe zuverdanken. Der poetische InstinktChopinshattedenungarischen
Virtuosen in seinen Bann geschlagen.
Und plötzlich ein Einschnitt: Die große
Polonaise in es-Moll
Op. 26 Nr. 2 mit der
Bezeichnung „Maestoso“. Das Rumoren in den Tiefen der Klaviatur baut eine
dramatische Spannung auf, die die gekrümmte Melodie nicht löst. Diese düstere
Auflehnung, dieser hochmütige Ton greifen das Drama in Warschau auf. Wie
immer bei Chopin kehrt sich alles von der Geschichte zum Einzelnen, von außen
nach innen, von der Politik zur Empfindung. Und die Dichte seiner Absicht ist nicht
nur eineAnprangerung sondern auch und vor allemdieTiefe eines inneren Porträts.