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Schumann nahm ich mit dem
Album für die Jugend
in Angriff, aber erst mit
14 Jahren tauchte ich wahrlich in seineWelt ein, mit den
Sinfonischen Etüden
,
der
Klaviersonate Nr. 1
, dem
Carnaval
, den
Kinderszenen
... Ich verspürte einen
Einklang mit dem Komponisten. Nach und nach ging mir auf, dass mir sein
Innenleben, seine Gefühlswelt sehr bekannt waren. Als reiste ich in ein Land,
dessenSprache ichwiedererkannte. SeineMusikwar viel natürlicher fürmich
als Chopins, die mir im Vergleich sehr klassisch erschien. Bei Chopin gibt es
eine Perfektion, die bei Schumann nicht existiert. Letzterer hat imGegensatz
dazu diesen Elan, der alles hinwegfegt, diese unverhüllte Ehrlichkeit, diese
Dringlichkeit. Er springt übergangslos und chaotisch von einer Laune
zur nächsten. Dieser exzentrische und unpolierte Aspekt glich mir. Seine
Polyphonie kann schroff und schwierig für die Zuhörer sein. Schumann ist im
Gegensatz zu Liszt kein Verführer.
Als Jugendliche reiste ich zum Schumann-Wettbewerb ins ostdeutsche
Zwickau, Geburtsstadt des Komponisten. Diese sächsische Stadt war
nicht besonders gastlich. Sie war während des Kriegs zerstört worden,
ähnelte einer Kaserne. Doch Schumanns Seele ist dort noch sehr präsent.
Sein Geburtshaus steht noch, ein Konzerthaus trägt seinen Namen, und
die Bewohner befassen sich eifrig mit seiner Musik. In Zwickau hatte ich
das Gefühl, dass mir Schumanns Gegenwart etwas raubte. Ich spürte sein
körperliches und geistiges Leid und machte es zu dem meinen. Dazu muss
man sagen, dass ich etwa zwanzig seiner Werke verinnerlicht hatte. Er
beherrschte mich. Ich gewann den zweiten Preis.
SCHUMANN_DAS GESAMTWERK FÜR KLAVIER, LIVE-MITSCHNITTE