Background Image
Previous Page  72 / 132 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 72 / 132 Next Page
Page Background

72

Schumann nahm ich mit dem

Album für die Jugend

in Angriff, aber erst mit

14 Jahren tauchte ich wahrlich in seineWelt ein, mit den

Sinfonischen Etüden

,

der

Klaviersonate Nr. 1

, dem

Carnaval

, den

Kinderszenen

... Ich verspürte einen

Einklang mit dem Komponisten. Nach und nach ging mir auf, dass mir sein

Innenleben, seine Gefühlswelt sehr bekannt waren. Als reiste ich in ein Land,

dessenSprache ichwiedererkannte. SeineMusikwar viel natürlicher fürmich

als Chopins, die mir im Vergleich sehr klassisch erschien. Bei Chopin gibt es

eine Perfektion, die bei Schumann nicht existiert. Letzterer hat imGegensatz

dazu diesen Elan, der alles hinwegfegt, diese unverhüllte Ehrlichkeit, diese

Dringlichkeit. Er springt übergangslos und chaotisch von einer Laune

zur nächsten. Dieser exzentrische und unpolierte Aspekt glich mir. Seine

Polyphonie kann schroff und schwierig für die Zuhörer sein. Schumann ist im

Gegensatz zu Liszt kein Verführer.

Als Jugendliche reiste ich zum Schumann-Wettbewerb ins ostdeutsche

Zwickau, Geburtsstadt des Komponisten. Diese sächsische Stadt war

nicht besonders gastlich. Sie war während des Kriegs zerstört worden,

ähnelte einer Kaserne. Doch Schumanns Seele ist dort noch sehr präsent.

Sein Geburtshaus steht noch, ein Konzerthaus trägt seinen Namen, und

die Bewohner befassen sich eifrig mit seiner Musik. In Zwickau hatte ich

das Gefühl, dass mir Schumanns Gegenwart etwas raubte. Ich spürte sein

körperliches und geistiges Leid und machte es zu dem meinen. Dazu muss

man sagen, dass ich etwa zwanzig seiner Werke verinnerlicht hatte. Er

beherrschte mich. Ich gewann den zweiten Preis.

SCHUMANN_DAS GESAMTWERK FÜR KLAVIER, LIVE-MITSCHNITTE