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Zitieren wir einmal Haydn, der 1801 auf doch recht theatralische Art von der
Entstehung der Partitur wie folgt berichtet: „Es sind ungefähr fünfzehn Jahre, dass
ich von einem Domherrn in Cadix ersucht wurde, eine Instrumentalmusik auf die
siebenWorte Jesu am Kreuze zu verfertigen. Man pflegte damals, alle Jahre während
der Fastenzeit in der Hauptkirche zu Cadix ein Oratorium aufzuführen, zu dessen
verstärktenWirkung folgendeAnstalten nichtwenig beytragenmussten. DieWände,
Fenster und Pfeiler der Kirche waren nehmlichmit schwarzemTuche überzogen, und
nur Eine, in der Mitte hängende grosse Lampe erleuchtete das heilige Dunkel. Zur
Mittagsstunde wurden alle Thüren geschlossen; jetzt begann die Musik. Nach einem
zweckmässigen Vorspiele bestieg der Bischof die Kanzel, sprach eines der sieben
Worte aus, und stellte eine Betrachtung darüber an. So wie sie geendiget war, stieg
er von der Kanzel herab, und fiel knieend vor dem Altare nieder. Diese Pause wurde
von der Musik ausgefüllt. Der Bischof betrat und verlies zum zweyten, drittenmale
u.s.w. die Kanzel, und jedesmal fiel das Orchester nach demSchlusse der Redewieder
ein. Dieser Darstellung musste meine Composition angemessen seyn.“
ImWinter 1786-1787, als Haydn gerade imDienste des Fürsten Esterházy stand, nahm
er die Herausforderung an. Er arbeitete an der Komposition der sieben Adagios für
Orchester, denen eine Einleitung vorangestellt war, so dass sie die Kommentare
des Prälaten verlängerten, während dieser von der Kanzel stieg, um sich vor dem
Kreuz zu verneigen. Das Schlussstück sollte dann das Erdbeben beim Tode Christi
heraufbeschwören. Der Ablauf desWerks, den man ihm übermittelt hatte, war ganz
besonders präzise, wie eine Art Protokoll bzw. detaillierte Anweisung.
Mehreren Gesprächspartnern gegenüber schilderte Haydn seine Schwierigkeiten
damit: „Die Aufgabe, sieben Adagio’s, wovon jedes gegen zehn Minuten dauern
sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine von
den leichtesten; und ich fand bald, daß ich mich an den vorgeschriebenen Zeitraum
nicht binden konnte…“. Dennoch reichte er die Auftragsarbeit pünktlich ein, so dass
sie in Cadix zur Aufführung kommen konnte, aber auch zur Fastenzeit 1787 in der
Wiener Schlosskirche.