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TALICH QUARTETT
Die Partitur beginnt mit einem
Allegro non troppo
, dessen pastorale Stimmung sich
endlos zu entwickeln scheint, wobei – wie als handele es sich um eine Sinfonie – die
Klangkombinationen immerweiter ausgebautwerden.
Es gibt zahlreiche Ideen von untergeordneter Rolle zu dieser Partitur, von denen eine
jedoch Erwähnung finden soll, und zwar die, welche die NotenA-G-A-H-E anführt, als
Anspielung auf Agathe von Siebold, mit der Brahms sich verlobte. Die Modulationen
dieses riesigen Satzes von einer Viertelstunde Dauer sind gewagt, die Musiker spielen
mit einer Chromatik, die zu den ausgefeiltestenChromatikenüberhaupt zählt.
Dasdannfolgende
Scherzo
lässtanDvořàkdenken,denndiedarinenthalteneFinesseist
nicht frei von der Farbigkeit Mitteleuropas. So folgt auf die ersten Schritte eines Tanzes
ein
Presto giocoso
, das von einemfantastischen Ländler-Rhythmus angetriebenwird.
Das
Adagio
in e-Moll hingegen entsteht in der Strenge von Variationen. Doch eröffnet
diese Seite der Partitur, die denWienern so langweilig erschien, einen unbestreitbaren
Charme,denndasThemaisteineMelodievongroßerSehnsucht.Brahmsspieltgeschickt
mit den Klangfarben, um jede Entwicklung in die dann folgende Phrase „übergleiten“
zu lassen und uns quasi unbemerkt eine Reihe von merkwürdigen und neuartigen
Wandlungenzuofferieren.Trotzeines kraftvollenundspannungsgeladenenAbschnitts
endet der Satz relativ ruhigund ausgeglichen,wenngleichdieseAusgeglichenheit auch
immer noch etwas Schmerzvolles in sich birgt. Die postromantischen Komponisten,
wie Schönberg,werden sich später andiese Lektion zurückerinnern.
Der letzte Satz,
Poco allegro
, kehrt zu der hell-heiteren und pastoralen Stimmung
vomAnfang des Werkes zurück. Die Komplexität dieses Teils der Komposition und
vor allem der zentralen Fuge entfaltet sich scheinbar ohne jede Anstrengung in
einer dezenten Ruhe. Brahms erreicht hier einen der Höhepunkte seiner Kunst, in
dem er volkstümlichen Geschmack und absolute Beherrschung kompliziertester
Formen miteinander vermengt.