

Ihre letzte Chopineinspielung war 1980. Warum haben Sie so
lange damit gewartet, diesem Komponisten erneut eine Platte zu
widmen?
Meine Beziehung zu Chopins Musik ist chaotisch. Chopin ist mit meinem Studium
am Pariser Konservatorium verknüpft: Ich habe dort keine einzige Note Mozart,
aber dafür übertrieben viel Chopin gespielt. Das war ein bisschen das Steckenpferd
aller Studenten. War man fähig, dieses Repertoire zu meistern, dann bedeutete
das, dass man alles spielen konnte. Damals spielte man Chopin mit sehr viel
Sentimentalität. Ich konnte mit dieser Tradition nichts anfangen. Alles wurde
Vorwand dafür, den Interpreten in Szene zu setzen. Hinzu kommt noch, dass man
sich amAnfang des Erwachsenwerdens weigert, diese allzu sentimentaleMusik zu
mögen – besonders als Mann. Umso mehr, als das Bild des Komponisten verzerrt
war: Man hatte aus ihm eine kränkelnde Frauenfigur gemacht.
In den achtziger Jahren dann habe ich wieder damit angefangen, die
Balladen
zu
spielen, und die
Nocturnes
sowie die
3. Sonate
, und ich habe dabei eine männlichere,
direktere Art des Spielens angewandt. Aber es hat mich Jahrzehnte gekostet, bis
ich mich mit Chopin wohl fühlte. Heute habe ich Vertrauen in meine Art, dieses
Repertoire anzugehen und ich habe keine Bedenken mehr bezüglich meiner
Interpretationsweisen.
40 CHOPIN_24 PRÉLUDES / KLAVIERSONATE Nr. 2