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Man gelangt dann wie von selbst von Britten zu Bridge, denn wir
wissen, welch großen Einfluss Letzterer auf seinen Schüler hatte, sowohl
musikalisch als auch menschlich. Für die CD haben Sie zwei Stücke
ausgewählt. Das eine ist von 1905, das andere von 1908:
Pensiero
und
Allegro appassionato
…
Man kommt an ihnen nicht vorbei! Von dem Moment an, als ich wusste, dass ich
ein englisches Programmmachen würde, war klar, dass diese beiden Stücke dabei
sein würden. Mit ihnen bewegen wir uns ein bisschen auf der gleichen Schiene wie
Clarke, sie sind zum einen wunderbar geschrieben – und auch hier wieder war ein
Bratschist amWerk.
Ich mag diesen Unterton englischer Gelassenheit, der diese stets sehr sangliche
Musik kennzeichnet. Aber man muss über diesen Aspekt hinausgehen, um die
Musik vor jeder Schalheit zu bewahren. Ich habe mich darangemacht, tiefer in den
Schreibstil und in die Harmonien einzusteigen und aus demDialogmit demKlavier
Nutzen zu ziehen, um zu einem möglichst lebendigen und abwechslungsreichen
Ergebnis zu gelangen, dass dieser schwungvollen Musik gerecht wird. Diese zwei
Stücke sind kleine Juwelen.
ADRIEN LA MARCA
ENGLISH DELIGHT
Vor Brittens
Lachrymae
(1950) kehren Sie erst noch zu der Quelle dieses
Werkes zurück, und zu einer der Quellen der englischen Musik überhaupt:
zu zwei
Songs
von John Dowland,
FlowMy Tears
und
If my complaints could
passions move
…
Ich habe in Konzerten mehrfach ausprobiert, wie es ist, diese beiden
Songs
vor
Lachrymae
zu spielen. Es ist, glaube ich, für den Zuhörer sehr nützlich, sie zu hören,
um auf diese Art besser in dieses absolute Meisterwerk Brittens, mit dem sie so eng
verbunden sind, eintauchen zu können. Jedes Mal, wenn ich
Lachrymae
vor Publikum
spiele, wirdmir dieWirkkraft, die diesesWerk auf die Zuhörer hat, bewusst. Nach dem
Schlusston braucht es immer ein paar Sekunden, bevor geklatscht wird.
Lachrymae
ist
einLabyrinthundesziehtunshineinineineWeltodervielmehrinsehrunterschiedliche
Welten. Es muss an dieser Stelle an den vollständigen Titel erinnert werden:
Lachrymae: Reflections on a Song of Dowland
. Der Begriff
Reflections
ist hier als Reflex, als
Widerschein zu verstehen. Es steckt tatsächlichdas ganzeDowland-Universumdarin,
das hier durch Brittens Prisma zumAusdruck kommt.Wenn ich nach demVortrag des
Stücks mit den Hörern diskutiere, teilen sie mir im Allgemeinen ihre Überraschung
darüber mit, wie vielfältig die Ausdruckspalette der Bratsche ist.
Lachrymae
beginnt,
leise, gedämpft, in einer sehr persönlich anmutenden Atmosphäre. Mit der vierten
Variation, dem
Allegro con moto
, ändert sich das dann schlagartig; jetzt wird gesungen
und deklamiert. Doch beruhigt sich das Gesagte in der siebten Variation –
Alla valse
moderato
– mit einem traurigenWalzer, der den Eindruck erweckt, als wolle er die Zeit
anhalten. Auch die achte Variation, das
Allegro marcia
, ist erstaunlich. Es ist ein sehr
rhythmisches Stück, dessen Schwingen ein wenig an Jazz denken lässt. Die neunte
Variation,
Lento
, ist ein echtes Klangaquarell. Und was die Zehnte betrifft,
L’istesso
tempo
: Sie bereitet auf ganz besondere Art undWeise das Erklingen des Themas von
If
my complaints could passions move
vor, ganz zum Schluss. Nach dem Durchqueren von
Brittens gesamter harmonischer Welt, erweist sich das Erscheinen dieses Themas in
seiner ursprünglichen Reinheit als buchstäblich magisch.