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OLIVIER LATRY 37 Die Platte schließt mit der Fantasie und Fuge über den Choral „Ad nos, ad salutarem undam“, dem ambitioniertesten Werk – allein durch seine Dauer – unter allen Orgelwerken Liszts. Saint-Saëns, den wir bereits erwähnten, sagte, es sei das außerordentlichste Orgelstück überhaupt… Alles begann 1849 mit dem Erfolg von Meyerbeers Oper Le Prophète in Paris. Eine Fassung für Orgel oder zu drei Händen (Pedalklavier) wurde 1852 veröffentlicht. Alexandre Winterberger führte das Stück 1855 zum Anlass der Orgelweihe im Merseburger Dom zum ersten Mal auf. In Ausmaß und Aufbau ist das Werk mit der Klaviersonate h-Moll zu vergleichen. Genial erdacht verläuft es von der Tonart C nach Fis (Adagio), dann von Fis nach C. Die Harmonie ist mit dem verminderten Nonenakkord sozusagen „vorzeitig“ Wagnerisch, was eine überaus kühne chromatische Entwicklung zur Folge hat. Was mich noch mehr fasziniert, ist die Verwendung des Chorals der drei Wiedertäufer aus der Oper (Zacharie, Mathisen und Jonas) in einer zusammenhängenden Partitur, in der sich jeder Takt thematisch erweist. Liszt schuf eine Paraphrase in der Paraphrase und neuerte die Orgelsprache mit grenzenloser Freiheit, während der Aufbau keineswegs an Zusammenhang verliert. Es ist gewiss das Werk, das am meisten Einsatz und Vorstellungskraft bei den Registrierungen verlangt. Der Komponist packt den Zuhörer mit Kontrasten in Dynamik und Tempi, mit der Schnelligkeit der Geste, den theatralischen Kunstgriffen, der Verwendung einer Orchestersprache. Wie Liszt selbst in einem Brief schrieb, hörte er in einigen Passagen Glocken. Der Perkussionist François Garnier half mir mit punktuellen Einsätzen aus. Immerhin waren wir in einem Konzertsaal und ich am Platz des Dirigenten…
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