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Brahms beendete sein so zusammengeflicktes Werk – das diese Tatsache jedoch auf wundersame Weise völlig verbirgt – im Jahre 1858. In der Zwischenzeit hatte er anderes komponiert: Lieder, ein Trio, eine Serenade (deren ländliche Akzente an das Konzert erinnern), Klavierstücke… Im März desselben Jahres waren er und Clara nach der Probeaufführung des Konzerts in Hannover äußerst zufrieden. „Johannes war selig“, schrieb sie. Die Freude war von kurzer Dauer. Nach dem doppelten Misserfolg der Uraufführung dauerte es 15 lange Jahre, bis das Konzert erneut zu hören war – wieder in Leipzig, aber diesmal saß Clara an Weihnachten 1873 am Klavier. Das Werk trug Schumann zu Grabe und stellte gleichzeitig eine Ode an die musikalische Schaffenskraft eines Genies im Frühling seiner Kunst dar. Innerhalb des beeindruckenden Massivs der Klavierkonzerte ist es eines der untypischsten. Besonders sein gewaltiger Anfangssatz, eine Art Geisterschiff, das vom stürmischen Meer hin- und hergeworfen wird, am Steuer ein furchtloser und fantastischer Komponist. Kein Stück ist mit dem Maestoso zu vergleichen (außer vielleicht der erste Teil von Beethovens Sonate „Appassionata“). In diesem immensen Meeresgedicht wogt die musikalische See im steten Auf und Ab, bis die Dämme unter dem absurden Druck des jungen Musikers nachgeben. Es scheint, als sei man im Gehirn eines deutschen Berlioz! Dieser Satz allein kommt einem Konzert gleich, nicht nur durch sein Ausmaß, sondern durch seine einzigartige Heftigkeit. Schumann hatte sich bereits lange vor ihrem Treffen gewünscht, was Brahms hier gelang: „ein Mittelding zwischen Sinfonie, Konzert und großer Sonate“. 34 BRAHMS ∙ KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER IN D-MOLL OP. 15
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