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Ljapunows Etüden sind nicht sehr bekannt, ebenso wie sein musikalisches Werk allgemein, darunter auch die Klavierstücke, die einen Großteil ausmachen. Gibt es neben ihrer außerordentlichen Schwierigkeit einen besonderen Grund dafür? Könnte es sein, dass sie eine Art einsame Insel in der Klaviergeschichte darstellen, wie zum Beispiel Albéniz‘ kurz darauf komponierte Iberia ? Vergessen wir jedoch nicht, dass Busoni und Horowitz sie zu ihrer Zeit häufig spielten… Ich erinnere mich noch an die Mischung aus Enthusiasmus, Unverständnis und Empörung, die ich verspürte, als ich Ljapunows Etüden im Alter von 14 Jahren entdeckte: Wie konnte es sein, dass eine so schöne, so fein für Virtuosen komponierte und für Musikliebhaber so gut zugängliche Musik derart unbekannt ist? Zweifelsohne litt Ljapunow wie so viele andere unter einer gewissen Sicht auf die Musikgeschichte, die vor allem Entdeckungen, Innovationen, technische Revolutionen und Werke feierte, welche den Lauf selbiger Geschichte änderten. Für die Verfechter dieser Sichtweise existiert Ljapunows Werk quasi nicht. Aber Musikliebhaber und Enthusiasten, die das Werk ungeachtet des Kontexts und der Chronologie für seine Schönheit und das sehen, was es ist, können sich sein Verschwinden nur durch „müde Unlust“ erklären (wie Baudelaire sagen würde), die statt des Feierns der großen Vielfalt unseres Klavierrepertoires mit zwanzig Komponisten vorliebnimmt – deren Genie niemand infrage stellt, die heute jedoch ausschließlich im Konzert zu hören sind. FLORIAN NOACK 39

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