LDV88-9
28 BACH | SONATEN UND PARTITEN BWV 1001-1006 Was war der Ausgangspunkt der dritten Einspielung? Während des Lockdowns ging ich in mich. Ich genoss die Zeit mit meiner Familie, meinen Kindern, aber musste in dieser für Künstler beängstigenden Phase meine Mitte wiederfinden, geistig gefestigt bleiben. So nahm ich mein „Brevier“ zur Hand, das auch ein Handbuch für das Instrument ist. Es enthält zwar alte Techniken ohne Lagen, systematischen Vibrato und Glissandi, aber stellt die Abszissen und Ordinaten der Musik dar. Es war eine Zuflucht in dieser anderen Art der Krise. Welche technischen Besonderheiten birgt die neue Einspielung? Ich habe auf reinen Darmsaiten gespielt, die zerbrechlicher und weniger stabil sind, sich aber im Hinblick auf Ausstrahlung, Resonanz und Klangcharakter lohnen. Zudem habe ich einen barocken Bogen benutzt, der zur Zeit der Komposition passt – ein leichterer Bogen, der andere Artikulationen und ein anderes Akkordspiel, aber auch eine interessante Leichtigkeit, Diktion und Vielfalt ermöglicht. Dennoch bin ich auf dem Mittelweg geblieben, denn obwohl ich auf meiner Stradivari von 1710 gespielt habe, ist der Bassbalken nicht wie bei barocken Geigen, wodurch ich nicht mit einem Kammerton von damals spielen konnte. Ich habe also bei 440 Hz gespielt. Damit habe ich an Ausdrucksstärke und „historischer Authentizität“ gewonnen, aber die moderne Effizienz verloren! Wie mit meinem Ensemble Les Dissonances versuche ich, das Beste beider Welten zu vereinen, was nicht immer leicht ist. Ivry Gitlis, Jascha Heifetz oder sogar Nathan Milstein spielten einen wunderbar postromantischen Bach, der mit meinem Weg überhaupt nichts zu tun hat, aber ich versuche, diese Tradition, der ich entspringe, mit den jüngsten Errungenschaften „historisch informierter“ Musiker zu verbinden.
RkJQdWJsaXNoZXIy OTAwOTQx