LDV88-9
27 DAVID GRIMAL Das ist Ihre dritte Einspielung des Zyklus. Was ist nach den Versionen von 1999 und 2008 neu an dieser Platte? Eine Platte bildet deutlich ab, wer man gerade ist. Bei der ersten war ich völlig ahnungslos, im Eifer der Jugend. Das Repertoire hatte mir Struktur gegeben, aber ich ging mit großer Freiheit, Schwung, Unbekümmertheit und frohen Mutes an das Instrument. Bei der zweiten Einspielung machte ich im Alter von 35 eine Krise in meinem Privatleben durch. Es war ein Moment der Innenschau zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein. Die dritte Version ist die schwierigste, die mir am meisten abgefordert hat, mit knapp 50 Jahren. Man hat den Eindruck, sich dank des Unterrichts und der Erfahrung mit unterschiedlichen Stilen, vor allem der Barockmusik, im Griff zu haben. Den Eindruck, an einem Scheideweg zu stehen und eine Synthese bieten zu können. Aber das stimmt so nicht. Die offenen Türen geben neue Perspektiven, die unser Verständnis infrage stellen, und genau das ist herrlich! Je mehr ich zu verstehen meine, desto mehr merke ich, dass ich nichts verstehe. Wie Sokrates sagte: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Es ist paradoxal. Ich habe das Gefühl, freier als zuvor zu sein, da diese Texte mich im Alltag begleiten, aber je weiter ich auf dem Pfad fortschreite, desto ferner rückt der Horizont. Das ist die Eigenheit großer Stücke und die Schönheit dieser Musik. Sie konfrontiert einen mit sich selbst, und mit sich selbst ist man nie fertig.
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