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DAVID GRIMAL 51 Ysaÿes Karriere reichte etwa von 1880 bis 1930 und umfasste rund zwei Generationen. Er kannte und verkehrte mit Musikern, die in unserer Vorstellung weit voneinander entfernt sind, wie Clara Schumann und Debussy. Wie würden Sie seine musikalische Welt und jene der Sechs Sonaten beschreiben? Als er die Sechs Sonaten 1923 schrieb, war er 65 Jahre alt. Er hatte sie sein ganzes Leben lang in sich getragen. Sie sind sein Vermächtnis an die Violinengeschichte, fassen seinen Werdegang als Musiker zusammen und wenden sich mit den neu erfundenen Spielweisen, die in den darauffolgenden Jahrzehnten von zahlreichen Komponisten genutzt wurden, der Zukunft zu. Je mehr man an diesen Sonaten arbeitet, desto mehr bewundert man die Symbiose der Kunst des Violinisten und des Komponisten. Ihr Satz basiert auf dem Instrumentenvokabular, das seit Giovanni Battista Viotti von Geigergenerationen wie Rode, Dont, Marsick, Sarasate, Wieniawski und Vieuxtemps entwickelt wurde, wobei die beiden Letzteren seine Lehrer waren. Ysaÿe befand sich am Scheideweg, der zum goldenen Zeitalter der Violine führte, wie wir sie dank fabelhafter Aufnahmen des 20. Jahrhunderts kennen. Man muss bedenken, dass es in Ysaÿes Zeit vor Schaffenskraft sprudelte. Er stand im Mittelpunkt einer Komponistengruppe, die ihm Werke widmete: Debussy, Chausson, Lekeu, Saint-Saëns, Fauré, Jongen, Franck, Vierne… Zudem pflegte er Bande mit einer Welt, die damals als älter galt: jene des Violinisten Joseph Joachim und von Clara Schumann, die er um 1880 in seiner Zeit als Konzertmeister am Konzerthaus Berlin traf.
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