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59 JEAN-PHILIPPE COLLARD Ummit Chopin fortzufahren, den sie oft gespielt haben: Er und Granados haben gemein, dass sie sich vom Salon zum Universellen erheben, eine aristokratische Eleganz zwischen Nonchalance und Heroismus und ebenso einemarkante gesangliche Färbung; und die Vorliebe für den Tanz natürlich. Ohne die Sinnlichkeit und die teils heftige lyrische Vehemenz zu vergessen.Wie kann der Interpret all diese Eigenschaften vereinbaren, ohne sich in einem Wald der Absichten zu verirren und den roten Faden des Texts zu verlieren? Die Parallele mit Chopin ist reizvoll, da die beiden Komponisten das ständige Streben nach Lyrik gemeinsam haben. Dieses absolute Bedürfnis zu singen, das hier in allen Konturen des Werks vorherrscht und das Spiel antreibt, neigt tatsächlich dazu, dieArchitektur des Texts zu trüben, wenn Rhythmus, Farben und Sinnlichkeit hinzukommen. Derart viele, sich in Schichten überlagernde Absichten erfordern an der Klaviatur eine aufmerksame Führung. Das Risiko ist nicht so sehr, die Beherrschung der Ausführung zu verlieren, sondern eher, die extreme Freiheit der Textführung zur Anpassung der Partitur an die eigenen technischen Möglichkeiten zu missbrauchen. Granados beherrschte als Pianist eine äußerst seltene undumfassendeTechnik amInstrument.Wennder Klang ertönt, hörtman, wie Granados in einem Augenblick Tausend Modulationen, Tausend Absichten – vomGeiste der Zeit und Begehren seiner Seele eingegeben – hervorzubringen fähig ist. Die Handlung des Interpreten ist in diesemMoment auch jene des Malers!

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