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GEOFFROY COUTEAU & QUATUOR HERMÈS 39 Das Opus 76 stammt aus dem Jahre 1878, in dem Brahms auch das Violinkonzert komponierte, eine Partitur wunderbaren Ausmaßes. Welch Kontrast mit Brahms’ Klavier, das nur der Nutzung des Musikers vorbehalten zu sein scheint. „Bestimmte Stückewie das letzte sind virtuos und spielenmit einem improvisierten Stil wie im Capriccio C-Dur . Das Capriccio h-Moll und das Intermezzo As-Dur mit ihrem ungarischen Charakter sind von einem volkstümlichen Elan durchzogen, der an Liszt erinnert. Ihr volkstümliches Wesen kommt mit Lyrik zum Ausdruck. Jedoch nehme ich in diesen Klavierstücken eine Verwandtschaft mit Schubert wahr, eine Art Seelenbruder Brahms‘. Im Ausdruck des nackten Leids und der Melancholie gleichen sich die beiden Komponisten! Im fünften Stück, C apriccio cis-Moll , sehe ich eine Ähnlichkeit mit der siebten Variation des zweiten Hefts der Variationen über ein Thema von Paganini des Komponisten. Die Komplexität dieses Stücks, eine wahre Rhythmusetüde (eine Hand spielt im Zweierrhythmus, die andere im Dreierrhythmus), betont genau wie im Capriccio den ‚fantastischen‘ Charakter der Musik. Mir kommen zwei weitere Beispiele in den Sinn, so sehr greift Brahms‘ Musik vor. Vielleicht hatte Ligeti in dieser musikalischen Geste ein zu ergründendes Kapitel gesehen. So überlagern einige der Klavieretüden, die der Ungar György Ligeti ein Jahrhundert später komponierte, voneinander unabhängige Rhythmen und Harmonien. ZumSchluss möchte ich Gustav Mahlers Schreibweise erwähnen. Nach Brahms lagerte sein älterer Kollege Mahler, Wahlwiener wie er, mehrere ebenso unabhängige melodische und rhythmische Linien über das Orchester. Er entwickeltedieKonzepteder Polyfonie imeigentlichenSinneundder Polyrhythmik. Bei diesen Werken von Brahms und besonders beim Opus 76 wird deutlich, dass sich die Romantik dem Ende neigte. Ein neues Kapitel begann.“

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