Welche Entwicklungen in Stil und Ausdruck zeigen sie auf? In der Musikgeschichte ist Faurés stilistische Entwicklung eine der schönsten, die ich kenne. In ihren Halbtönen bergen die ersten Nocturnes Charme, Verführung und Lieblichkeit, von denen Fauré später zugunsten der Askese, Reinheit und Strenge, aber auch der extremen Dichte der letzten Nocturnes Abstand nahm. Zwischen der Fünften und der Sechsten Nocturne vergingen zehn Jahre ohne Komposition für Klavier solo. Die Sechste und Siebte Nocturne stehen am Scheideweg und eröffnen andere, strengere und dunklere Perspektiven. Was begründet diese Entwicklung Ihres Erachtens? Hauptsächlich Faurés Taubheit, die 1902, dem Entstehungsjahr der Achten Nocturne, auftauchte und sich mit der Zeit nur verschlimmerte. Fauré hörte sehr hohe und niedrige Frequenzen nicht mehr korrekt. Den Beginn der Dreizehnten Nocturne komponierte er in einem sehr engen mittleren Register, das sich fast auf eine Oktave beschränkt. Der Stil ist ähnlich kompakt wie jener des Streichquartetts. Zwar ist Faurés Musik in ihrer Zurückhaltung ausweichend und lässt oft ein undefinierbares Gefühl zurück, doch die Verzweiflung gewinnt in der Neunten Nocturne die Oberhand über das Unausdrückliche und kreuzt auch in der Zehnten Nocturne auf, die ihre Lyrik und ihren Fluss verliert, sich in ihrer Langsamkeit und manchmal im Kampf entwickelt. Auch der Erste Weltkrieg warf seinen Schatten über die drei letzten Nocturnes. 39 THÉO FOUCHENNERET
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