38 FAURÉ ∙ NOCTURNES Inwiefern entspringen diese großteils am Ende des 19. Jahrhunderts komponierten Nocturnes der Romantik? In einigen Nocturnes trifft man auf eine Fingerfertigkeit, die Chopins ähnelt. Ich denke an die ersten, aber auch an die romantischen Reminiszenzen im Mittelteil der Fünften Nocturne und an den lyrischen Elan der Passage „Allegro“ der Siebten. Allerdings ist meiner Meinung nach der deutsche Einfluss, jener Schumanns, hörbarer. Erinnert die Zweier-Dreier-Ambivalenz zu Beginn der Sechsten Nocturne nicht an Schumanns Stil? Ebenso die wiederholte Verwendung der Synkope und des Kontrapunkts! Fauré und Schumann haben die Fähigkeit, mich die Zeit vergessen und einen Moment lang stillstehen zu lassen. Gabriel Fauré komponierte die Nocturnes über knapp ein halbes Jahrhundert hinweg. Sie durchzogen seine Jugend, dann seine Reifezeit und schlussendlich sein hohes Alter. Die Erste entstand 1875; die Dreizehnte, sein letztes Klavierstück, 1921. Im selben Zeitraum schrieb er seine 13 Barcarolles. Besteht eine Verbindung zwischen diesen Werken? Die Nocturnes und die Barcarolles können wie Zweigespanne wirken. Die Komposition einer Barkarole folgte oft auf die einer Nocturne oder umgekehrt. Allerdings unterscheiden sich beide Musikformen kaum. Die Erste Barcarolle hätte den Titel Nocturne tragen können, und die Zwölfte Nocturne hätte mit dem wiegenden Rhythmus ihres Dreiertakts einen Platz unter den Barcarolles verdient, ebenso wie die Vierte.
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