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30 POULENC ∙ STRAVINSKY ∙ PROKOFIEV „Wind, der über einen Friedhof weht“ – so beschrieb Prokofjew den Anfang seiner Ersten Sonate , die zwischen 1938 und 1946 entstand und an die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs erinnert. Doch heute denken wir an die Trümmer in der Ukraine… Itamar Golan: Von den drei Werken liegt mir dieses wahrscheinlich am meisten am Herzen. Es ist so mächtig und spiegelt unsere Zeit gewiss am meisten wider. Seine Bitternis, seine Nacktheit, sein Diskurs entspringen unmittelbar der Seele, den inneren Tiefen des Komponisten. Und ich möchte gern auf den Anfang des Werks hinweisen: Als ich die Sonate zuletzt mit David im Konzert spielte, kam mir kurz vor Beginn das Bild von Putin in den Sinn, wie er in seinem Bunker sitzt und seinen Soldaten fürchterliche Befehle erteilt. David Grimal: Gewalt, Finsternis und Verzweiflung sind auch ein Teil der russischen Kultur. Es ist ein Volk, dessen Identität von Blut befleckt ist, sei es durch die Gewalt, die anderen angetan wird, oder jene, die es sich selbst antut. Der Gedanke des Leids gehört auch zur russischen Geigenschule. Ohne Leid gibt es keinen Ausdruck. Die westlichen Völker können diese Schwärze nicht verstehen, weil wir schon am Ende unserer Kräfte sind, wo die Russen noch nicht einmal begonnen haben. Wir haben Angst vor der Kälte im Winter – sie sind auf 50 Millionen Tote vorbereitet. Es ist Teil ihrer Kultur. Wir können uns nicht verstehen, und ich gebe nicht vor, sie zu verstehen… Ich stand oft in Kontakt mit Musikern, die Opfer des sowjetischen Systems waren, meist jüdische Musiker, die litten und zugleich von diesem Leid definiert wurden. Die Sonate enthält die Kultur des Leids mit irdischer Brutalität.

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