LDV110

30 DEBUSSY ∙ MURAIL | RÉVOLUTIONS Kann man von einer musikalischen Erzählung sprechen? Ich würde sagen, dass der einheitliche Stil die Erzählung offenbart. Das ist das Zeichen eines großen Komponisten (ebenso wie eines großen Schriftstellers). Murails Stil ist traumhaft und erinnert zuweilen – mit den zahlreichen Farbwechseln und der Verräumlichung des Klangs – an den Stil des späten Skrjabin. Man könnte fast von einem synästhetischen Ansatz der Musik sprechen, nach dem Beispiel von Prométhée des russischen Musikers oder einigen Werken Messiaens (obwohl Murail diesen Ansatz nie direkt anspricht). Um die hier eingespielten Werke kurz vorzustellen: Impression, soleil levant beruft sich auf das gleichnamige Gemälde von Claude Monet. Impressionismus, gewiss, aber ohne irgendetwas nachahmen zu wollen. Mémorial ist ein Werk, das nach dem Besuch des Holocaust-Mahnmals in Berlin entstand. Die sich überlagernden Granitakkorde fallen herab, steigen dann wieder zum Himmel auf und übermitteln eine intensive Emotion. Das kurze Stück Le Misanthrope spielt von Molière und Liszt inspirierte, abrupt wechselnde Launen und Tempi. Man könnte fast von „Melodrama“ voller Fragen sprechen, die wie in einem Selbstgespräch des Komponisten auftauchen. Das sehr virtuos komponierte Rossignol en amour verwendet Vogelgesang, der zuvor vom Computer analysiert wurde. Tristan Murails harmonischer Stempel ist einzigartig. Er rückt die Schönheit der Musik und des Diskurses in den Vordergrund. So herrscht die Emotion dank einer souveränen Beherrschung des Stils vor.

RkJQdWJsaXNoZXIy OTAwOTQx