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52 MAHLER ∙ SCHOENBERG / JUGENDSTIL Er legt das Buch wieder hin und öffnet die Tür des Häuschens. Draußen ist die Erde schwammig und singt unter seinen Füßen. Die kühle Luft lässt ihn erschauern. Er legt die Jacke enger um sich und reibt sich die Arme. Dann geht er einen Weg entlang. Ein Drama bahnt sich am Himmel an. Der Tag vergeht, und die Wolken werden von der sterbenden Sonne entfacht und scheinen sich vor Qual zu winden. Seine Finger schmerzen etwas vom Halten der Feder, und er verspürt einen gewissen Jubel beim Gedanken an ein Werk, das mit einem Trauermarsch beginnt: Er trägt die alte Welt zu Grabe und wird zum Schöpfer einer neuen. Worte sind nicht nötig. Alles kommt rein musikalisch zum Ausdruck . Diese Sinfonie wird Stimmen und ausdrücklichen Darlegungen keinen Platz lassen. Sie wird nur Musik sein. Er ist fragil am Saum dieses großen Waldes, in dem Stille herrscht, aber seine Schöpfung macht ihn stark. Stark ist er auch, weil Alma ihn liebt und sich für ihn aufgibt. Ihn amüsiert der Gedanke an ihr erstes Treffen bei einem Abendessen bei Berta Zuckerkandl, die einen der bekanntesten Salons in Wien führt. Er hatte Alma zunächst für ein „Püppchen“ gehalten, doch ihre Lebhaftigkeit und Intelligenz verführten ihn. Der Höhepunkt des Abends war die Stille der anderen Gäste, als sie ihr Johlen hörten: Sie grölte und stampfte, als sie über Zemlinsky zankten. „Dieser Zemlinsky“, murmelt er, dann verschwimmen seine Gedanken wieder.

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