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BEATRICE BERRUT 51 Er schaut auf. Draußen klärt sich der Himmel. Diese Sinfonie wird mit einem Trauermarsch beginnen, und es scheint ihm, als wäre der Tag dafür geschaffen, trotz der zarten Aufheiterung. Erschöpft von der unablässigen Arbeit seit dem Morgengrauen streckt er seine steifen Glieder, steht auf und läuft im Raum umher. Welch Ruhe , denkt er, und welch Kontrast zu den unzähligen Konflikten, die sein Jahr mit den Musikern an der Hofoper zeichneten! „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, sagt Rückert in einem seiner Gedichte. Er blättert im Buch, das achtlos auf dem Fensterbrett lag, und lächelt bitter. „Genau das bin ich“, seufzt er. Die Zukunft ist an diesem Abend, an dem das Wasser vom Blätterdach rinnt, im Keim angelegt – das spürt er. Rückert schrieb seine Kindertotenlieder nach dem Tod seiner beiden jüngsten Kinder, und er komponiert seinen Trauermarsch und arbeitet heimlich an der Vertonung einiger seiner Gedichte. Seine Tochter wird an Scharlach sterben: Er weiß es noch nicht, aber seine Musik schon. Die kleine Maria Anna ist noch nicht geboren und wird nur ein kurzer Funken in seinem Leben sein. Das flüchtige Aufleuchten des Himmels kündigt es an.

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