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In der Tat, wie soll man den Kuhglockeneffekt im Andante moderato von Mahlers Sechster Sinfonie wiedergeben? Durch das Einarbeiten typischer Glockenspielharmonien: Die Klangfarbe ist anders, aber der Glockenklang wird suggeriert. Wie soll die Innigkeit der Streicher in Schoenbergs Verklärter Nacht zum Ausdruck kommen? Sie ist nicht umzusetzen, und darum habe ich entschieden, vom Original für Sextett Abstand zu nehmen und stattdessen eine Paraphrase zu erschaffen, die Liszts Klaviersonate spiegelt. Ein Klavierwerk in einem einzigen Satz, das von der Symbolik der Verwandlung handelt und das Innerste der menschlichen Psyche erkundet. In Mahlers Adagietto verbirgt sich eine demütige Hommage an Brahms’ Klavierstücke durch die Verwendung einer Klavierbegleitung, die die lange gehaltenen Saiten, nahezu unmöglich auf dem Klavier umzusetzen, unterstützt. Während dieser Kompositionsarbeit befasste ich mich intensiv mit Mahlers und Schoenbergs Biografien und schrieb zwei auf wahren Tatsachen beruhende Kurzgeschichten, die, so hoffe ich, den Zuhörer in den Schöpfungskontext der Werke eintauchen lassen. Sind Transkriptionen Verfälschungen? Ich denke nicht. Mit Transkriptionen würdigt man das Genie einer Musik, deren Kern trotz der veränderten Form gleich bleibt, und knüpft an die Universalität des Gedankens des 19. Jahrhunderts an. Die Musik muss weiterleben, denn wie Mahler sagen würde: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“! BEATRICE BERRUT 49

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