LDV15

48 SCHUBERT Man findet hier, so geschliffen scharf wie nie zuvor, die Charakteristika von Schuberts Artzuschreiben:dernachvornedrängendeRhythmus, zweikurzeNoten / einelangeNote (die zwanghafte Matrix der Lebensstürme ), und die weniger angespannte Ableitung davon, eine lange Note / vier kurze Noten (Allegro vivace der Fantasie, zweites Thema des Allegro und des Allegretto der Sonate). Noten- und Akkordwiederholungen, die die thematischen Motive heftig schlagen lassen (die gesamte Entfaltung des ersten Satzes der Sonate D959; die hohe Lage der Tastatur im F-Dur-Abschnitt des Rondos D951; mehrere Abschnitte der Fantasie). Modulationsbrüche durch Halbtöne: f-Moll / fis-Moll (Fantasie), a-Moll / as-Moll, a-Moll / b-Moll ( Lebensstürme ), A-Dur / B-Dur (am Ende des Allegro der Sonate). Überall eingestreute Ländler-Rhythmen (Entwicklung des Allegro und des Scherzo der Sonate; Kommentar des zweiten Themas der Lebensstürme , mehrere Motive des Rondo D951). Das Allegro der Sonate D959, abwechselnd strahlend, heiter, leidenschaftlich, schalkhaft, hält eine Schlussseite bereit, die durch ihre hypnotischen Eigenschaften erstaunt: Eine pianissimo -Wiederholung des Themas, wie als käme es von weit hinter dem Horizont, geheimnisvolle, vom Pedal ins Wogen gebrachte Arpeggi, die in der Stille und demWarten hängen: Schubert hat uns darauf vorbereitet, tastend hinabzusteigen ins Sammelbecken des völlig freigelegten Schmerzes, und zwar in dem dann folgenden Andantino, mit einem hinkenden, einsamen Wanderer . Als bereits am Ende gerademal einer Seite von dessen Klage nichts mehr zu hören ist, entwickelt sich ein ungeheuerliches Wuchern, ein entfesselter Alien , der in instrumentaler Wucht alles, was Schubert je zuvor ersonnen hat, weit übertrifft. Die Härte mehrerer Akkorde zu acht Tönen (die in seinem Schreiben so selten sind) bedeutet das Ende. Das Ende der Welt, das Ende der Musik. Der Held kann noch so sehr versuchen, sich wieder aufzurichten, es bleibt doch nur sein Auge, das uns anstarrt, und sein Geist, der uns bis zum endgültigen Begräbnis bewohnt. Wie soll man da an die Illusion des Scherzos glauben, voller Tänze, Posen und Koketterien, die geradewegs aus dem kleinenWiener Theater kommen?

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