LDV14

Ist nicht ein weiterer gemeinsamer Aspekt von Chopin und Debussy, dass jede Note eine aussagekräftige Rolle inne hat, dass nie etwas nur zum„Auffüllen“ geschieht? Absolut, es gibt keine Note zu viel, keine Geschmacksverirrung, zu keiner Zeit. Alles hat eine Funktion, bei Chopin ist immer alles sehr organisch, sehr natürlich. Selbst die Dissonanzen verschmelzen mit der Rede, sie haben ihren Grund zu sein, wie sie sind, sie als solche; sie sind wirklich präsent, werden aber vom Ohr nie als störend wahrgenommen. Undwowir gerade von Chopin sprechen, der Debussy die Hand reicht: Welch außergewöhnliches Stück ist da doch das Prélude op. 45 – und was für ein unterschätztes Meisterwerk! Es wird ihmwahrlich Unrecht getan. Dieses Stück ist von atemberaubendemReichtum. Mankönntedas Prélude op.45miteinemVersuchslaborvergleichen.Chopinerwecktdarin den Eindruck, als habe er es für sich selbst geschrieben. Er wagt nicht enden wollende Modulationen, es gibt keine oder zumindest fast keineMelodie. Es sind Resonanzen, die bei den tiefen Tönen der Tastatur beginnen und sich in Arpeggios fortentwickeln, mit, auf dem Höhepunkt angelangt, einer angerissenen Melodie, gerade mal drei Noten … Das ist Chemie der Harmonik … Chopin probiert Neues aus, er macht sich selbst eine Freude. Man kann ihn sich fast vorstellen, wie er sich da für die Modulationen, die er erschafft, begeistert. Es scheint, als ginge eine Tür nach der anderen auf. Türen, die bereits zu den später erschaffenen Dingen weisen. Es ist interessant festzuhalten, dass – chronologisch gesehen – die Entstehung des Préludes op. 45 zwischen der zweiten und dritten Ballade liegt, und daher habe ich mich auch dazu entschlossen, es in den Ablauf dieses CD-Programms mit aufzunehmen. 49 PHILIPPE BIANCONI

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