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2012 haben Sie ja bei Dolce Volta die Gesamtheit aller Préludes von Debussy eingespielt.Siewarendaher umsomehr inder Lage zuerspüren,wie sehr Chopins Musik Perspektiven eröffnet und wie sehr diese Musik – und Cortot hat dies ja in einem berühmten Ausspruch auch betont – die Eroberungen des musikalischen Impressionismus ankündigt. Inwieweit hat das Eintauchen in Debussys Welt Ihre Herangehensweise an Chopin prägen oder verändern können? In der dritten und mehr noch in der vierten Ballade trifft man tatsächlich auf Kühnheit in der Harmonik, auf Klangsuche und nachhallende Schwingungen, auf eine Arbeit mit dem Pedal, einen Redefluss und selbst auf Klangmaterie, die allesamt in Richtung Zukunft blicken und Lust machen darauf, das Wort impressionistisch zu verwenden, jedenfalls frühimpressionistisch. Es ist unverkennbar, dass Komponisten vom Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dieser Quelle geschöpft haben. Inwieweit das meine Herangehensweise an Chopin verändert hat? Das kann ich nicht sagen, aber es hat sie sicher erhellt. Ich konnte das im Konzert überprüfen, wenn es geschah, dass ich ein paar Seiten Debussy oder Ravel und dann Chopin spielte. Die Modernität Chopins wird im Lichte späterer Werke ersichtlich. Als ich für die Einspielung wieder in mein Chopin-Programm abgetaucht bin, sind mir viele Aspekte seiner Musik verstärkt erschienen. Harmonien, Schreibfluss: Welch unglaubliche Modernität für das Publikum der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts! Man sieht die direkte Verbindung zu dem, was Debussy später daraus gemacht hat, ganz abgesehen davon, dass beide, sowohl Debussy als auch Chopin, Effekthascherei und Übertreibung hassten, was sie einander näher bringt. Die große harmonische Freiheit, die Chopin nach und nach auf seinemWeg auftut, ist genau das Fundament für die Vorgehensweise Debussys, der seinerseits dann die Sprache unabhängig machen wird. Hinzu kommen eine Liebe zur Farbigkeit und zum Instrument, eine geradezu körperliche Beziehung zur Tastatur – die in Anspruch genommen, doch niemals angegriffen wird: All diese Dinge teilen die beiden Komponisten miteinander. Das Klavier, das Debussy zur Verfügung steht, ist sicherlich ganz anders als das von Chopin, aber alle beide reizen sie die Möglichkeiten des Instruments ganz aus und treiben die Arbeit am Klang soweit wie möglich voran. 48 CHOPIN
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