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Das Klima ändert sich dann von Grund auf in der dritten Ballade … Wenn man sich einmal vorstellen möchte – und das ist eine rein intellektuelle Gedankenkonstruktion, die sonst auf nichts gründet –, dass die vier Balladen ein Ganzes bilden, dann wäre die Dritte in diesem Ganzen das Scherzo. Von den Vieren ist sie die Glücklichste – selbst wenn sie von Gewittern und dunkleren Momenten durchzogen ist –, sie ist im psychologischen Sinne des Begriffs die Leichteste. Ich mag dieses Stück besonders gern. Es gibt schließlich relativwenig glücklicheWerke von Chopin, die, wie das Opus 47, in einem solch unwiderstehlichen Enthusiasmus gipfeln. Was den Schreibstil betrifft, so wohnt man hier einer beachtlichen Entwicklung bei. Bisweilen neigt man bei Betrachtung der vier Balladen ja dazu, dieses Stück, das geniale harmonische Fundstücke und Modulationen von unglaublicher Kühnheit in sich trägt, zu unterschätzen. An manchen Stellen erkennt man auch schon eine sich abzeichnende Polyphonie, die die Rede bereichert und vom Umgang mit Bach zeugt. Sie wird zu einem festen Bestandteil der Sprache des Musikers. Der Eingangssatz der dritten Ballade ist Chopin pur, doch wenn man das Geschriebene analysiert, entdeckt man eine gekonnte Polyphonie mit Stimmen, die – sich spiegelnd – einander antworten; das ist fabelhaft. Die Lektion von Bach ist vollständig verinnerlicht. Die dritte Ballade verschafft mir das Gefühl von der Befreiung der Sprache. 46 CHOPIN

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