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45 Und dann die zweite Ballade , ein unerwartetes Werk … Sie ist mit ihren heftigen Brüchen die Rätselhafteste der Vier. Es kommt darin eine Form von Schizophrenie zum Ausdruck. Chopin hat die zweite Ballade Schumann gewidmet. Man kann nicht sagen, obman zwischen Inhalt und Ton, die der Psyche des deutschen Komponisten und der Vorstellung, die Chopin von ihm womöglich hatte, entsprechen, eine Verbindung herstellen muss. Die Ballade in F-Dur stellt einen Aspekt dar, den ich fast als pathologisch bezeichnen würde. Das Werk beginnt mit einer langen Einleitung, einer fabelhaften, versessenen Episode, die durch ihr hypnotisches Hin und Her sowie das ständige Widerkäuen fixer Ideen ein wenig krankhaft wirkt. Und plötzlich taucht die zweite Episode auf, und zwar mit großer Heftigkeit. Etwas von solcher Art, und solcher Art verabreicht, ist etwas völlig Überraschendes bei Chopin. Und dann ist da auch noch diese äußerst kataklysmische Coda, in der eine unglaublicheVerzweiflung zumAusdruck kommt, die in der Coda der Ballade in g-Moll nicht anzutreffen war. Letztere enthält durchaus auchVerzweiflung, jedoch inVerbindung mit einem sehr kämpferischen, rachsüchtigen Gefühl. Die Coda der zweiten Ballade ist von Anfang bis Ende ein Schmerzensschrei, bevor sie in die Stille hinein mündet, amRande des Abgrunds. PHILIPPE BIANCONI
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